Dienstag, 19. März 2013

Teil 10: Istanbul

Der Schriftsteller und Poet Alphonse de Lamartine schrieb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: "Wenn jemand nur einen einzigen Blick auf die Welt richten könnte, sollte er auf Istanbul blicken". Davon wollte nun auch ich mich endlich überzeugen können. Als einer der letzten "Orientalisten" und sogar als vorletzter meiner ganzen Familie war ich noch nie in dieser Stadt gewesen. Mit Verlaub, aber auch ich habe meinen Stolz - also nix wie in die Metro und vom Flughafen aus in die Innenstadt.
Ich bin auf diesen letzten Tagen meines diesjährigen Urlaubs bei meinem guten Freund Max untergekommen, der in der Stadt am Bosporus zwei Auslandssemester absolviert und schon nahezu fließend auf Türkisch konversieren kann. In der an sich ganz komfortablen Wohnung im Stadtteil Fatih konnte ich für eine Woche mein Lager aufschlagen, nachdem wir den kaputten Koffer vier Stockwerke in die Höhe geschleppt hatten.
Am ersten Tag war meine Auffassungsgabe noch etwas lädiert. Zu hektisch waren die letzten Tage gewesen und zu viele Kilometer hatten wir in den vergangenen eineinhalb Wochen zurückgelegt. An Istanbul musste ich mich erst gewöhnen. Und so ließ ich beim ersten Stadtrundgang mit meinem nunmehr ortskundigen Tübinger Kommilitonen alle großen Attraktionen eher gleichgültig links bzw. rechts liegen, während sich meine Seele gewissermaßen danach sehnte, von einem Tee gewärmt und vom dampfigen Rauch einer Wasserpfeife umwabert zu werden. Das Wetter tat sein Übriges, meine Laune in Grenzen zu halten und so verstrich der Tag meiner Ankunft in einer der großartigsten Städte der Welt eher unspektakulär.


Am nächsten Morgen sah die Lage aber wieder ganz anders aus. Mein Elan war wieder da. Ich legte erneut genau dieselbe Strecke wie am Vortag zurück und hatte dieses Mal den allwissenden LonelyPlanet dabei, der mich samt Stadtplan und Zusatzinformationen durch die Gassen führte und mich über die Baugeschichte des Galata-Turms aufklärte, vor gierigen Taxifahrern warnte und zu allem Überfluss noch betonte, dass die beste Reisezeit zwischen April und Mai angesiedelt sei. Im März sei noch mit Regen zu rechnen.

Bis auf meinen ersten und meinen letzten Tag in Istanbul war die Woche von Regen gezeichnet. Wolken bedeckten den Himmel und ließen keine Sonne durch. Das Wasser war aufgewühlt, als wir mit einer Fähre von Eminönü auf die asiatische Seite nach Üsküdar übersetzten und von dort nach Kadıköy spazierten, um uns auf dem Weg den Hafen, die Zoll-Gebäude und die containerbeladenen LKWs anzusehen. Wir kamen auch am Haydarpaşa-Bahnhof vorbei, von wo aus man per Zug in alle möglichen Städte der Türkei aufbrechen kann. Früher verkehrte hier auch die Anatolische Eisenbahn, in deren Fortsetzung man dann ab Konya mit der Bagdadbahn weiter nach Südosten fahren konnte. Für die eingefleischten Liebhabern des Nahen Ostens, zu denen auch mein Vater gehört, stellt die Reiseroute der Bagdadbahn einen Traum dar. Leider kann man aufgrund der politischen Lage in naher Zukunft wohl kaum damit rechnen, auf dieser Strecke zu den Endpunkten Aleppo oder Bagdad zu gelangen. Heute machen Istanbuler Paare ihre Hochzeitsfotos vor der fesselnden Kulisse der Bahnhofshalle und ziehen die Blicke auf sich.


Doch der Regen ist wirklich ein Urlaubskiller. Haare nass, Schuhe nass, trotzdem ungetrübter Optimismus. Der nächste Tee wartet schon. Außerdem, vielleicht erlebt man eine Stadt nur dann wirklich, wenn man sie bei Regen gesehen hat, wenn sie sich nicht von ihrer gezwungen-strahlenden Seite präsentieren muss. Tiefhängende Wolken, Wind und Regenschauer vertreiben die klassischen Fotomotive von der Bühne und die meisten Angler von der Galata-Brücke. Doch bei Nacht glitzert und strahlt die Stadt in den Millionen Pfützen um so mehr.


Nichtsdestotrotz, ich musste mir die Hauptsehenswürdigkeiten ja schließlich anschauen. Da sich mein Vater und eine seiner Reisegruppen zufällig zur selben Zeit wie ich in Istanbul befanden, konnte ich mich an eine Führung durch den Topkapı-Palast anschließen. Die vielen Pavillons und mosaikverzierten Räumlichkeiten konnten durchaus vermitteln, in welcher Architektur die großen osmanischen Herrscher vor Jahrhunderten hier residiert hatten. Das Bild wurde nur durch die - aufgrund der Jahreszeit noch recht überschaubare - Anzahl der Touristen beeinträchtigt.


Zeit für eine Mittagspause. Istanbul ist eine riesige Metropole mit einer unglaublichen gastronomischen Infrastruktur, die sich auf kleine Imbissbuden, Köftecis und Fischrestaurants stützt. In dieser Stadt ist noch nie ein Weltenbummler verhungert. Der eine oder andere wird aber arm in die Heimat zurückgekehrt sein, denn die Preise sind - gerade für Touristen - gepfeffert. Gerade in Sultanahmet, wo Reisegruppen nach dem Besuch der Hagia Sophia oder der Blauen Moschee (Sultanahmet-Moschee) die Restaurants füllen, rollt sprichwörtlich die Lira.

In unmittelbarer Nähe zum Topkapı-Palast liegt die Hagia Sophia, eine ehemals christliche Kirche des antiken Byzanz, die im 15. Jahrhundert nach der Eroberung der Stadt durch die Osmanen zur Moschee umgewandelt wurde und bis heute durch ihre Architektur beeindruckt.


Die Blaue Moschee, die ein echter Istanbuler nur unter dem Namen Sultanahmet-Moschee kennt, konnte ich leider nur von Außen bewundern, da ich das unheimliche Glück habe, bei berühmten Moscheen immer zur Gebetszeit aufzutauchen und die Tür vor der Nase zugeschlossen zu bekommen.


Dafür war ich aber in der Nuruosmaniye-Moschee aus dem 18. Jahrhundert, die von Innen (mutmaßlich) nicht weniger beeindruckt.


Abschließend besuchte ich noch einmal den ägyptischen Gewürzbasar in der Nähe der Galata-Brücke, um mich ein letztes Mal vom Orient flashen zu lassen. Obwohl die beiden überdachten Istanbuler Basare unvergleichlich bunt sind und mit Teppichen und jeder Art von orientalischer Seife beeindrucken, sind sie für meinen Geschmack schon fast etwas zu sauber. Außerdem erzählt man mir hier überschwänglich: "Ah, Mister, you look like a carpet buyer!" - Da Teppiche nicht unbedingt in mein Budget passen, ließ ich den Mann stehen und schaute mich lieber nach den richtig kitschigen Istanbul-Souvenirs um. Dafür ist der Basar auf jeden Fall gut.


Das echte Leben findet man jedoch nur in den Straßen außerhalb der geschlossenen Basare, in den engeren Straßen, wo sich die Märkte noch nicht so zwanghaft rausgeputzt für die Millionen Touristen präsentieren. Hier hängen die Lämmer noch halbiert von den Haken und das Gemüse beeindruckt durch seine Frische. Während sich drinnen im Kapalı Çarşı, dem Großen Basar, die Teppichhändler vor den geputzten Glasscheiben ihrer Geschäfte im Gespräch mit Touristen die Hände reiben, kann man draußen in der einheimischen Bevölkerung abtauchen und Tee trinken.


Tee getrunken habe ich wirklich viel in den letzten drei Wochen. Es war aber auch immer angemessen. Eigentlich sollte man immer Tee trinken, denn das nimmt einerseits den Druck aus dem Alltag und erhöht andererseits den Druck auf die Blase. Zum Glück habe ich reichlich Tee eingekauft und konnte mit einem gefüllten, notdürftig mit Klebeband zusammengeklebten Koffer den Gang zum Flughafen antreten. Von Istanbul habe ich einiges, aber viel zu wenig gesehen. Ein guter Grund, in naher Zukunft wieder einmal hierher zurückzukommen und die Sache mal bei Sonnenschein zu betrachten.

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