Mittwoch, 19. Dezember 2012

Ausblick ohne Aussicht (Israel-Palästina-Analyse Dezember 2012)


Am 29. November 2012 wurde Palästina der Beobachterstatus der Vereinten Nationen gegeben. Er gilt als Vorstufe zur Vollmitgliedschaft. Im Zuge der Aufwertung der palästinensischen Delegation sprach die UNO erstmals von einem „Staat“. Die USA bildeten die Basis einer gewichtigen, aber äußerst kleinen Opposition gegen die Entscheidung der Vereinten Nationen. Europa zeigte sich gespalten, auch die Deutschen sorgten mit ihrer Enthaltung für eine Überraschung. In Ramallah, Hebron und Gaza gab es Freudentänze, Hupkonzerte und Gewehrschüsse zur Feier des Tages. Die unmittelbare Reaktion auf die Entscheidung der Vereinten Nationen kam promt aus Jerusalem: Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu verkündete den Bau neuer Wohnsiedlungen auf umstrittenem Gebiet – dieses Mal an Orten, die für eine Zweistaatenlösung zu einer unangenehmen Hürde werden könnten.
In großen Schritten geht Palästinenserpräsident Mahmud Abbas auf die Unabhängigkeit Palästinas zu. Doch was wird sich in den kommenden Monaten verändern? In welche Richtung gegen die Ereignisse der letzten Tage, Wochen und Monate? Die wichtigste Frage von allen wird jedoch sein: Gibt es eine neue Chance für einen nachhaltigen Friedensprozess?
Das Jahr 2012 neigt sich dem Ende zu und im Streit um das Heilige Land ergeben sich immer neue Situationen. Die Lage spitzt sich zu, auch wenn es für die einen bergauf zu gehen scheint. Während die Palästinenser neues Selbstbewusstsein schöpfen, bereitet sich die israelische Politik auf einen Isolationskurs vor. Der Wahlkampf steht vor der Tür. Die letzte Konfrontation mit der Hamas in Gaza hat den rechten Parteien wieder Zulauf verschafft. – Doch nicht nur auf der israelischen Seite scheinen sich die Positionen zu radikalisieren. Die jüngsten Erfolge der palästinensischen Vertretung vor der UNO bekräftigen auch die Radikalen in den Reihen der Palästinenser. Der Wille, ganz Palästina von den „zionistischen Besatzern“ zu befreien, ist stärker denn je.

Auf israelischer Seite hat sich eine Personaländerung angekündigt: Außenminister Avigdor Liberman, der für seine äußerst kompromisslose Haltung bekannt ist, reichte bei seinem Chef das Rücktrittsgesuch ein. Ein Ermittlungsverfahren, das gegen ihn seit 16 Jahren läuft, hat den aus Moldawien stammenden Politiker der Likud-Partei zum Rücktritt bewegt. Seitdem hat der ohnehin schon schwer beschäftigte Netanjahu dieses Amt geschäftsführend übernommen. Netanjahu treibt die Genehmigung neuer Wohneinheiten voran. Offiziell kann wohl niemand nachweisen, dass dieser Schritt etwas mit den jüngsten Ereignissen in New York zu tun hat, doch es scheint offensichtlich zu sein, dass der Premierminister zeigen will, wer in Jerusalem und Umgebung das Sagen hat. Schon vor dem Antrag des Palästinenserpräsidenten vor der UNO waren über tausend Wohneinheiten in Pisgat Ze’ev und Ramot genehmigt worden. Dies war wohl der erste Warnschuss. Nachdem Abbas vor der UNO-Vollversammlung Erfolg hatte, will Netanjahu ganze 6600 neue Wohnungen entstehen lassen, etwa 1500 davon in Ramat Schlomo. Es ist vor allem der Nordosten Jerusalems, der hier von besonderem Interesse ist, denn dort ließe sich mit einigen neuen Siedlungen der Weg zwischen Ramallah und Hebron in den Palästinensergebieten abschneiden. In Panik verfallende Pessimisten sehen darin einen finalen Schritt der israelischen Regierung, eine Zweistaatenlösung vollends unmöglich zu machen, indem Fakten geschaffen würden in Form neuer israelischer Wohngebiete. Angesichts der politischen Entwicklungen könnten sie nicht ganz Unrecht haben.
Unterdessen bereitet sich die israelische Öffentlichkeit auf die Wahlen vor, die am 22. Januar 2013 stattfinden sollen. Netanjahu scheint auch hier wieder der sichere Gewinner zu sein. Hunderte von Raketen, die in den letzten Monaten und Wochen im Zuge der Gaza-Krise auf israelische Dörfer und Städte gefallen waren, haben weite Teile der Bevölkerung wieder an die Wahrung der Sicherheit für alle Staatsbürger erinnert, die von den rechten Parteien großgeschrieben wird. Obwohl bei weitem nicht alle Israelis hinter ihrem Premierminister stehen, bietet sich auf der anderen Seite keine lohnende Alternative. Die linken Parteien sind schlecht organisiert und das Lager, das den Friedensprozess vorantreiben will, hat kaum eine Chance, bei den Wahlen zu gewinnen oder auch nur an einer neuen Regierung beteiligt zu werden.
Was für Israel in Zukunft noch von Bedeutung sein könnte ist die mittlerweile eher kritische und zuvor nicht gekannte Haltung, die sich in der deutschen Politik breit macht: Nicht nur Sigmar Gabriel (SPD), der im März bei seinem Hebron-Besuch von einem „Apartheid-Regime“ sprach, verschafft sich Gehör. Auch die Kanzlerin tat sich schwer damit, ihrem israelischen Amtskollegen bei seinem letztem Besuch kurz nach der Bekanntmachung, es werde (tausende) neue Wohnungen auf umstrittenem Gebiet geben, alles durchgehen zu lassen. In der Frage der Siedlungen könne sie nur sagen, „dass wir uns einig sind, dass wir uns nicht einig sind“.
Dass Kritik selbst vonseiten der deutschen Regierung laut wird, müsste für Netanjahu ein eindeutiges Zeichen sein: Der derzeitige Kurs könnte der falsche sein und in die internationale Isolation führen. Die Zeiten, in denen man noch Mitgefühl und Solidarität verspürte für ein bedrängtes und angreifbares Israel, scheinen vorbei zu sein – und das schon seit dem Jahre 1967. Zu lange schon gehört Israel selbst zu den Besatzern. Und zu groß sind auch die die Veränderungen, die sich dieser Tage vollziehen: Obwohl der Arabische Frühling – zwei Jahre nach seinem Ausbruch – zwar nur an den wenigsten Orten wirklich positive Veränderungen in Form von sicheren, demokratischen Systemen hervorgebracht hat, so zeugt er doch tagtäglich von der Tatsache, dass wir im 21. Jahrhundert angekommen sind. Die Diskussionen auf den Straßen der arabischen Welt und die schleppende, aber kreativ gestaltete Veränderung im Nahen Osten zeigen Israel, dass es nicht mehr nur eine einfarbige Masse von Feinden um sich hat. Vielmehr bilden sich hier neue Parlamente, neue Regierungen, neue Kräfte, die man nicht durch Verträge dazu verpflichten kann, vom Schicksal der palästinensischen Nachbarn unbeeindruckt weiter den Unbeteiligten zu spielen. In unserem Jahrtausend wird es immer unmöglicher, ein Gebiet mit militärischer Macht zu besetzen und seine Bewohner zu Rechtlosen zu machen, die Militärgerichten unterstellt sind. Die Zeiten, in der man spätpubertierende Jugendliche in Uniformen stecken und als Besatzer in einen rechtsfreien Raum entsenden kann, ohne die Verantwortung für ihre Taten übernehmen zu müssen, könnten bald Geschichte sein. Ein vor der UNO aufgewertetes Palästina lässt sich so leicht nicht mehr zerspalten und in Zonen einteilen, während die Welt nur zuschaut.

Bei aller Einigkeit vor der Versammlung der Vereinten Nationen präsentiert Palästina jedoch nicht nur geografisch ein gespaltetes Territorium. Fatah und Hamas, die beiden entscheidenden Parteien, hatten vor über zweieinhalb Jahren den Versuch gewagt, sich einander näher zu kommen. Dieser Versuch war mehr oder weniger gescheitert. Noch immer unterscheiden sich die beiden Kräfte wie Tag und Nacht. Doch auch auf palästinensischer Seite haben sich die Töne geändert. Abbas hat sich mit seinem internationalen Erfolg neue Sympathiepunkte sichern können. Das Volk wagt ein neues Selbstbewusstsein und bereitet sich vor auf die Unabhängigkeit. Einige Extremisten, die im Zuge der Gaza-Krise großen Zulauf erhalten haben, bereiten sich indes auf einen anderen Sturm vor – nämlich den Sturm auf Jerusalem. So scheint es zumindest, verfolgt man die neusten Berichte aus Hebron, der Hamas-Hochburg im Westjordanland. Dort hatte die Autonomiebehörde kürzlich eine Kundgebung zum 25jährigen Jubiläum der radikalislamischen Organisation gebilligt. Tausende Menschen feierten die Märtyrer vergangener und die neuen Helden unserer Tage. Hier ist genau jenes Bild präsent, das die israelische Öffentlichkeit und auch die israelische Politik oft zu ihrem strengen Rechtskurs drängt: Landkarten Palästinas, auf denen Israel ausgelöscht ist, palästinensisches Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer. Und die Demonstranten, die Zuschauer, die Kinder zeigen deutlich, dass sie keinen anderen Weg sehen als die Auslöschung des Feindes. Kompromissbereit zeigen sich hier die wenigsten.
Während Israel – auch unter Netanjahu – seinen Willen zur Zweistaatenlösung immer wieder beteuert und die Palästinensische Autonomiebehörde sich unter Palästinenserpräsident Mahmud Abbas immer wieder dazu zwingt, dies auch zu tun, gibt es auf Seiten der Hamas nur den klaren Kurs gen Jerusalem, ohne Abstriche. Israel hat keine Zukunft, die Juden sollen wieder dahin zurückgehen wo sie einst hergekommen sind, so lautet hier die über weite Teile der Bevölkerung akzeptierte Meinung. Einen Frieden mit Israel wird es nie geben. Das ist bei der Hamas offiziell.
Während die eine Veränderung in Richtung der Radikalisierung geht, kommen jedoch auch beschwichtigende Töne aus Palästina bzw. in diesem Fall – aus der Türkei: Palästinenserpräsident Abbas hat kürzlich die Äußerung des Hamas-Führers Chaled Maschal zum Staat Israel kritisiert. Die Hamas habe einer Zweistaatenlösung zugestimmt und müsse deshalb auch Israel anerkennen, sagte der Fatah-Chef am Ende seines zweitägigen Besuches in der Ankara vor Journalisten.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, hat einmal ein bedauernswert naiver, aber optimistischer Volksmund gesagt. Vielleicht ist es auch in diesem Fall so. Festzustellen bleibt am Ende jedoch, dass auf beiden Seiten der Mauer zunächst ein Rechtsruck zu befürchten ist. Radikale Palästinenser werden durch internationale Unterstützung nicht kompromissbereiter. Dennoch: Die einzigen, die im Moment für eine Entschärfung sorgen könnten bzw. für ein in-die-Wege-Leiten eines neuen Friedensprozesses, sind die Politiker auf der israelischen Seite. Anstatt wie erst kürzlich auf die harte Tour zu setzen und weiter eine gemeinsame Gesprächsgrundlage mit sandfarbenen Mehrfamilienhäusern zu verbauen, müsste Netanjahu auf seine palästinensischen Rivalen zugehen, denn diese könnten bald mit ihm auf einer Augenhöhe sein. Vielleicht sollte er Abbas, der im Gegensatz zur Hamas das „kleinere Übel“ darstellen dürfte, schon vorzeitig auf seine Stufe stellen und sich somit seinen Wunschgesprächspartner in dessen Position sichern, denn mit der Hamas wird in nächster Zeit wohl kam zu reden sein.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die israelische Wählerschaft im Januar bei den Parlamentswahlen entscheiden wird. Doch unabhängig davon sollte irgendwann jemand aufstehen und alle Beteiligten darauf hinweisen, dass eine Chance nach der nächsten ungenutzt vorbeizieht und jedes israelische und palästinensische Kind zum wiederholten Mal um die Perspektive auf ein Leben in Frieden mit seinen Nachbarn beraubt.

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